Wirtschaft einfach erklärt

Der Arbeitsmarkt: (K)ein Markt wie jeder andere?

Zugegeben, der Titel stammt ursprünglich vom Bildungsserver BW – aber er passt einfach perfekt. Denn wenn man sich genauer mit dem Thema befasst, fallen viele Ungereimtheiten auf, die in keinem anderen Marktmechanismus Sinn ergeben würden. Aber niemand versteht so ganz, warum das überhaupt sein kann. Denn wer auch nur ein bisschen von Angebot und Nachfrage versteht, würde annehmen, dass diese mächtigen Kräfte zumindest im Modell ein Gleichgewicht schaffen würden. Natürlich funktioniert es in der Realität ganz anders als im Modell, aber nirgendwo sind wir weiter vom Modell entfernt als auf dem Arbeitsmarkt. Denn hier sind andere Kräfte weitaus mächtiger als der Mechanismus zwischen Angebot und Nachfrage.

Die Folgen: Fachkräftemängel und gleichzeitige Arbeitslosigkeit. Also eine klare strukturelle Fehlverteilung von Arbeitskräften. Aber wie kann das sein?

Der Markt regelt das schon - oder?

Um die Funktionsweise des Arbeitsmarktes zu verstehen, sehen wir uns erst einmal an, wie Angebot und Nachfrage grundsätzlich funktionieren. Nehmen wir dazu ein einfaches Beispiel: In der Tulpenstadt verkaufen Tulpenhändler:innen ihre Tulpen an die Bewohner:innen der Stadt. Um herauszufinden, wie viel eine Tulpe kosten soll, führt der Tulpenhandelsverband eine Umfrage bei der ganzen Bevölkerung durch. Der Verband schreibt alle Antworten auf und hält sie grafisch in einem sogenannten Preis-Mengen-Diagramm fest. Auf der X-Achse ist die Menge der Tulpen dargestellt, die insgesamt von den Konsumenten gekauft werden würde. Während sich auf der Y-Achse der zugehörige Preis befindet. Was sich daraus ergibt, nennt sich Nachfragekurve und sieht folgendermaßen aus:

Der Tulpenhandelsverband stellt also fest, dass die Menge der Tulpen sinkt, die sie verkaufen können, je höher die Preise angesetzt werden.

Anschließend fragt der Tulpenhandelsverband alle Tulpenhändler:innen, wie viel sie mindestens für eine Tulpe verlangen würden. Darin enthalten müssen die Kosten sein, die es verursacht, die Tulpen anzubauen, zu pflücken und zu verkaufen. Sie schreiben alle genannten Preise wieder in ein solches Diagramm und stellen fest, dass die sogenannte Angebotskurve im Gegensatz zur Nachfragekurve steigt:

Die Menge an Tulpen, die die Tulpenhändler:innen bereit wären zu verkaufen, ist somit größer, wenn die Preise dafür auch höher sind. Schließlich will kein Tulpenhändler seine Tulpen unter Wert verkaufen.

Nun werden die beiden Kurven in dasselbe Diagramm gelegt und die Tulpenhändler:innen verstehen, dass am Schnittpunkt beider Kurven der Verkaufspreis liegt, an dem die meisten Tulpen zu dem möglichst höchsten Preis verkauft werden würden. Zu diesem Preis wollen die Tulpenhändler:innen zukünftig auch ihre Tulpen verkaufen.

Dieser Preis wird als Gleichgewichtspreis bezeichnet und er liegt beim sogenannten Pareto-Optimum. Das Pareto-Optimum beschreibt einen Zustand, in dem niemand bessergestellt werden kann, ohne dass gleichzeitig jemand anderes schlechtergestellt wird. Zu diesem Preis wird auch die Gleichgewichtsmenge gehandelt, die zu dem entsprechenden Preis verkauft wird. Wenn Angebot und Nachfrage ohne äußere Eingriffe wirken können, pendelt sich dieses Gleichgewicht stets von neuem ein, je nachdem, wie sich bestimmte Rahmenbedingungen ändern. Das sorgt dafür, dass beliebte Güter mit hoher Nachfrage teurer werden und kaum nachgefragte Güter für Spottpreise über den Ladentisch gehen. Dieses Modell funktioniert in der Realität auf dem Gütermarkt oft erstaunlich gut. Auf den Arbeitsmarkt lässt sich das Prinzip aber nur bedingt übertragen – obwohl er auf den ersten Blick ähnlich aufgebaut ist.

Was ist anders beim Arbeitsmarkt?

Hier sind die Nachfragenden die Arbeitgeber:innen, das Gut, das nachgefragt und angeboten wird, ist die Arbeitskraft durch die Arbeitnehmer:innen. Der Preis, den die Nachfragenden für das Gut bezahlen, nennt sich Gehalt. Jetzt müssten Angebot und Nachfrage, wie in unserem Beispiel oben, dafür sorgen, dass sich das Gehalt da einpendelt, wo die meisten Arbeitnehmer:innen bereit sind zu arbeiten und das gleichzeitig auch von den Arbeitgeber:innen gezahlt wird. Das kann ebenfalls in einem Preis-Mengen-Diagramm festgehalten werden, wobei es für jede Teilberufsgruppe dann ein eigenes Diagramm gibt. Jetzt denken sich vielleicht einige, wo das Problem läge? Das Problem hört auf den überraschenden Namen: Staat.

Arbeitslos will niemand freiwillig sein - oder?

Ein Staat wie der Sozialstaat in Deutschland hat die Aufgabe, auf seine Bürger:innen aufzupassen. Dazu gehört auch, sie vor den Marktkräften zu schützen, die keine Rücksicht auf individuelles Wohlbefinden legen. Daher greift er hin und wieder in die natürlichen Marktkräfte ein, um Missstände zu verringern sowie um eine gewisse Gerechtigkeit herzustellen. Sein größter Eingriff in den Arbeitsmarkt ist wahrscheinlich der Mindestlohn. Dieser soll sicherstellen, dass niemand in Deutschland unterhalb eines gewissen Existenzminimums leben muss. Es gibt zwei mögliche Szenarien, wie sich der Mindestlohn auf die Gehaltsbildung auswirken kann.

Szenario 1:

Der Mindestlohn liegt auf oder unter dem Gleichgewichtslohn. Dann hat er praktisch keine Auswirkungen, weil sich das Pareto-Optimum trotzdem einstellt. Grafisch würde das etwa so aussehen:

Bildquelle: Henneberger, Fred, & Haug, Lara (2010). Die Auswirkungen von Mindestlöhnen auf das Gleichgewicht am Arbeitsmarkt: Eine theoretische Analyse anhand der beiden Marktformen des Polypols und des Monopsons (S. 14). St. Gallen: Forschungsinstitut für Arbeit und Arbeitsrecht an der Universität St. Gallen.

Bildquelle: Henneberger, Fred, & Haug, Lara, 2010, S. 15

Szenario 2:

Der Mindestlohn liegt über dem Gleichgewichtslohn. Dann leiden darunter entweder die Arbeitgeber:innen, die mehr für ihre Angestellten bezahlen müssen, als es im Gleichgewicht der Fall wäre. Oder es kommt zu einem Nachteil für die Arbeitnehmer:innen, weil die Arbeitgeber:innen weniger Arbeit zu diesem Preis nachfragen, es also nur weniger Arbeitsplätze gibt. In der Regel setzt sich der letzte Fall durch, weil die Arbeitgeber:innen eben die Marktmacht gegenüber ihren Angestellten haben, zu bestimmen, wie viele Menschen sie anheuern. In einem Preis-Mengen-Diagramm stellt sich dies so dar:

Bildquelle: Henneberger, Fred, & Haug, Lara, 2010, S. 16

Eine wirtschaftswissenschaftliche Denkrichtung, die Neoklassik, liefert eine klare Erklärung für Arbeitslosigkeit: Ihrer Ansicht nach entstehen Arbeitsmarktprobleme dann, wenn Reallöhne, also die tatsächlich gezahlten Löhne, über dem Gleichgewichtslohn liegen – etwa durch staatliche Eingriffe wie den Mindestlohn. Die Folge: Arbeitgeber:innen fragen weniger Arbeitskräfte nach, weil sie sich die höheren Löhne nicht leisten können.

Doch genau hier stößt das Modell an seine Grenzen. Denn Arbeitslosigkeit lässt sich nicht allein mit zu hohen Löhnen erklären - sie hat viele Ursachen, von strukturellen Faktoren bis hin zu Qualifikationsunterschieden. Die Theorie der Neoklassik versucht auch, das Gegenteil zu erklären: dass zu hohe Löhne in bestimmten Bereichen dazu führen, dass viele Stellen unbesetzt bleiben, weil nicht genügend Menschen bereit sind, diese Arbeit zu den angebotenen Bedingungen anzunehmen.

Beide Sichtweisen greifen zu kurz - sie zeigen zwar, wie sich Angebot und Nachfrage verändern können, erklären aber nicht die ganze Komplexität des Arbeitsmarkts.

 

Die Sache mit der Pflegebranche

Wer noch nichts davon gehört hat, dass überall in Deutschland zu wenig Pflegekräfte zur Verfügung stehen, hat wohl die letzten Jahre glücklich hinter dem Mond gelebt. Denn tatsächlich: Sie werden überall gebraucht. Ob in Krankenhäusern, in Seniorenheimen oder einfach in privaten Haushalten - es gibt schlichtweg zu wenige Arbeitskräfte. Und obwohl Pflegekräfte überall gesucht werden, ist der Beruf für viele eher unattraktiv. Sehr viel Verantwortung kommt zusammen auf ein dafür sehr geringes Gehalt mit hoher Belastung. Das Ergebnis: Fachkräftemangel. Jetzt wissen wir aber, dass das eigentlich unlogisch ist, da Angebot und Nachfrage doch dafür sorgen müssten, dass es stets zu einem Gleichgewicht kommt. In dem Fall hieße das: Der Beruf der Pflegefachperson müsste so lange attraktiver gemacht werden, bis ihn wieder genug Arbeitnehmer:innen ausführen. Bedauerlicherweise kommt der Arbeitsmarkt aber genau an dieser Stelle an seine Grenzen.

Denn hier sehen wir, wie Angebot und Nachfrage nicht funktionieren, obwohl der Mindestlohn unter dem Gleichgewichtslohn liegt. Allerdings ist der Grund, weshalb die Gehälter der stark nachgefragten Pflegekräfte trotzdem nicht in die Höhe schießen, einfach. Die Budgets für Gehälter sind nach oben gedeckelt. Also praktisch das Gegenteil eines Mindestlohns - ein Maximallohn. Ein Szenario, was man vielleicht vom Immobilienmarkt kennt, wo Mietpreise gedeckelt werden, um allen Menschen zu ermöglichen, sich Wohnraum leisten zu können. Im Fall der Pflegebranche ist diese Deckelung allerdings nur indirekt durch den Staat verursacht, weil dieser nicht einfach sagt, dass die Gehälter der Pfleger:innen nur maximal so hoch sein dürfen. Es ist um einiges komplizierter, denn so etwas wie einen Maximalpreis gibt es natürlich nicht. Aber der Topf, aus welchem die Gehälter der Pflegekräfte bezahlt werden, ist nun mal nicht ausreichend, um den Gleichgewichtslohn zahlen zu können, und das wiederum hat genau den gleichen Effekt. Der Topf ist nämlich unter anderem das Ergebnis von Versicherungsbeiträgen, und diese sind ebenfalls nach oben gedeckelt. Dadurch kann sich nicht das Pareto-Optimum einstellen und wir bleiben auf dem Fachkräftemangel sitzen. Aber es gilt auch hier: starke Vereinfachung und Auslassung von vielen anderen Faktoren, die den Fachkräftemangel weiter befeuern.

Fazit

Was soll das jetzt heißen? Der Staat ist schuld daran, dass auf dem Arbeitsmarkt ein Marktversagen vorliegt, was zu Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel führt? Natürlich nicht. Wir alle wissen, welche Missstände vorliegen würden, wenn es keinen Mindestlohn geben würde und wenn die Versicherungsbeiträge höhere Gehälter stemmen müssten. Kein Mensch könnte sich mehr eine Krankenversicherung leisten und es gäbe viele Leute, die zu Hungerlöhnen arbeiten müssten. Allerdings führt es uns vor Augen, was für Konsequenzen Eingriffe in das Marktgleichgewicht haben und dass diese eben immer auch negative Kehrseiten haben können. Deswegen ist es auch eine so riesige Frage: Mehr Markt oder mehr Staat? Deswegen muss bei jeder Entscheidung neu abgewogen werden, ob die Ungerechtigkeit, die ohne eine Korrektur durch den Staat vorliegen würde, so extrem ist, dass es wert ist, dafür einen Teil des Gleichgewichts aufzugeben.

Unsere Empfehlung

„Die Auswirkungen von Mindestlöhnen auf das Gleichgewicht am Arbeitsmarkt”

Wer an einem tieferen Einblick in die Einflüsse des Mindestlohns auf das Gleichgewicht des Arbeitsmarktes interessiert ist, kann hier reinschauen:

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